Presse: “Warum das Szene-Karree vor dem Aus steht”

Freie Presse vom 11. Juni 2009

Seit Wochen ist die Zukunft des Experimentellen Karrees ungewiss – Grund sind Absprachen zwischen Wohnungsgesellschaft und privatem Investor

Eigentlich wollten junge Leute in einem Karree an der Reitbahnstraße ein Szeneviertel etablieren. Jetzt kommt heraus: Die kommunale GGG und ein privater Investor haben seit Jahren andere Vorstellungen von der Zukunft des Viertels.

Von Alexander Dinger

Seit zwei Jahren versuchen junge Leute im so genannten Experimentellen Karree ein Szeneviertel zu etablieren. In den einst leer stehenden Häusern an der Reitbahnstraße, die der kommunalen Wohnungsgesellschaft GGG gehören, wollen sie Kulturprojekte verwirklichen -zum Beispiel Ateliers einrichten, ein Café eröffnen oder ein alternatives Kino betreiben. Obwohl sogar ein Stadtratsbeschluss existiert, der die Verwirklichung des Szene-Kiezes fordert, geht es bei der Umsetzung nicht so recht voran. Zuletzt bot die GGG den Aktivisten Alternativobjekte an – was die jungen Leute als Aufforderung werten, das Karree aufzugeben.

Der Grund: Offenbar ist den beiden größten Eigentümern im Reitbahnviertel, der GGG und dem Chemnitzer Immobilienunternehmen Keilholz, die Umsetzung des alternativen Kulturprojektes ein Dorn im Auge. Keilholz hatte im Dezember 2005 Häuser aus dem Bestand der GGG an der Fritz-Reuter-Straße erworben. Im Kaufvertrag gibt es eine Klausel, die den Investor verpflichtet, die Häuser zu sanieren, wie GGG-Sprecher Erik Escher sagte. Keilholz-Geschäftsführer Josef Keilholz bestätigte, “wir werden in der zweiten Jahreshälfte 2009 beginnen”. Er erwarte, dass die GGG spätestens 2010 nachziehe und ihre Häuser zwischen Bernsbachplatz, Reitbahnstraße, Fritz-Reuter-Straße und Clara-Zetkin-Straße ebenfalls saniere. Doch genau diese Häuser hatte die GGG den jungen Leuten überlassen, damit sie ihr Kulturprojekt verwirklichen.

Entsprechend ungeduldig ist man nun bei Keilholz. Das Unternehmen bemängelt, dass zum Zeitpunkt des Erwerbs der Häuser an der Fritz-Reuter-Straße die Situation eine andere gewesen sei. Die angedachte Nutzung, eine hochwertige Sanierung, sei derzeit nicht umsetzbar, so Keilholz. Sollte sich die Situation nicht ändern, droht er der GGG mit Konsequenzen. Dann müsste sie die Keilholz-Häuser zurückkaufen – das sieht der Vertrag so vor. Warum die GGG-Verantwortlichen diesen Umstand den Karree-Aktivisten verschwiegen haben, bleibt offen. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, dass von Anfang an hätte klar sein müssen, dass die “Nutzung des Objektes ausschließlich eine temporäre Lösung darstellt”.

Dennoch hält die GGG das Experimentelle Karree nicht für gescheitert. Man suche gemeinsam mit den Akteuren nach Ausweichobjekten. Doch die angebotenen Immobilien werden von den jungen Leuten als zu klein und marode bewertet. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

1 Response to “Presse: “Warum das Szene-Karree vor dem Aus steht””


  1. 1 Tom Schilling

    Die Frage stellt sich, woraus denn, Zitat: „von Anfang an hätte klar sein müssen“, dass die Nutzung ausschließlich eine „temporäre“ Lösung darstelle.
    Die Überlassung des, neuerdings strittigen, Gebäudes als Alternative zum vormals besetzten Haus „Kämpfer“ (Zitat: „Wir sehen uns als kommunales Wohnungsunternehmen natürlich auch in einer gesellschaftlichen Verantwortung“ GGG-Sprecher am 4.7.07), lässt einen solchen Schluss nicht zu, wenigstens nicht „von Anfang an“.
    Ins Grübeln gerät allerdings der geneigte Leser öffentlicher Pressemitteilungen, erfährt er, dass eben dieser „Kämpfer“ (der sich seinerzeit im, Zitat: „rechtlichen Schwebezustand” befunden habe) neuerdings als „Ausweichobjekt“ für das inzwischen städteplanerisch und mit viel Engagement vorangetriebene Projekt eines „Experimentellen Karrees“ zur Verfügung stehe.
    Wer darin eine Lösung sieht, oder sich gar darauf versteigt, die Zukunft eines nachhaltig geplanten Kulturviertels nun doch als irgendwie gesichert zu sehen, sieht die Dinge aus einem, wenigstens mir nicht klar nachvollziehbaren Blickwinkel (oder wohnt schon zu lange in der Stadt temporären Tempos, wenigstens lange genug, um sich an solches – um nicht zu sagen an eine Situation des Aussitzens – gewöhnt zu haben.)
    Ein Schalk, der Schlimmes dabei denkt, wenn andere daraus ein „Gewohnheitsrecht“ zu stricken suchen.
    Doch ist da noch, halt: ein Stadtratsbeschluss!, der all der Schalkerei ihre Grenzen weist.
    Politische Entscheidungen, die haben Gewicht.
    Wer hat soviel Mehrgewicht, dass er drauf pfeifen kann?
    Und wenn, wer würde schon gern sein Übergewicht in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen wollen, sieht man doch in aller Regel das ein oder andere Fettpölsterchen schon im Spiegel nicht allzugern.
    Bereits am 26. November 2008 fällte der Stadtrat den Beschluss: „Die Verwaltung sowie der städtische Vertreter in der Gesellschafterversammlung der GGG werden aufgefordert, die Zielstellungen des Konzeptes ‘Experimentelles Karree im Reitbahnviertel’ aktiv zu unterstützen, insbesondere auf eine längerfristige Nutzungsmöglichkeit des Objektes Reitbahnstraße 84 im Rahmen dieses Konzeptes hinzuwirken.“
    Der „städtische Vertreter“ ist ein Mann der Tat, der auf „Befindlichkeiten“ keine Rücksicht nimmt (und nehmen darf), der beispielhaft, etwa dem Vorwurf, er wolle „blockieren und vehindern“ (Theaterhaustarif; FP 5.Juni 2009, S. 11) zu begegnen weiß: Was einem Stadtratsbeschluss entgegen steht, oh nein, das darf nicht sein. Zitat: „Das käme einer Missachtung des Stadtrates gleich“ und weiter „Ich kann dem nicht zustimmen, weil der Stadtrat das so nicht beschlossen hat.“ (FP 6/7. Juni, S. 13)
    Vertrauen wir also getrost dem Stehvermögen eines Mannes, der seines Amtes würdig ist;
    man könnte sich (oder die Öffentlichkeit) ansonsten fragen, wenn Stadtratsbeschlüsse vorzugsweise mal gesteigerten mal reinen Klopapierwert haben, ob das etwa von einer Geisteshaltung zeugt, die dieser Stadt zu einem Image verhilft, das nicht nur temporär (auch überregional) in aller Munde, sondern nachhaltig deren Charakter prägen soll.
    Berlin ist – trotz seiner Schulden – sexy. Danke, Klaus Wowereit.
    An den besonderen Charme von Chemnitz muss sich mancher gleichwohl noch gewöhnen, und wohl auch an sein besonderes Tempo, doch wenn eine Vision bereits beschlossene Sache ist, dann sollte man getrost auf die Instrumente parlamentarischer Demokratie vertrauen.
    Das Vertrauen in einen funktionierenden Rechtsstaat wäre ansonsten massiv erschüttert. Und wer will solches schon auf seine Schultern laden?

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