Im Berliner Stadtteil Kreuzberg diskutierten Experten und Stadtteilaktivisten über Strategien gegen Mieterverdrängung. Linke-Vizeparteichefin Wawzyniak: Großes Kino.
Von Christian LindeDer Berliner Stadtteil Kreuzberg wandelt sich. Mitte der neunziger Jahre verließen Menschen, die es sich leisten konnten, das Gebiet, heute drängen zahlungskräftige Haushalte geradezu in die ehemalige Hochburg der Hausbesetzer. Die Bewohner kämpfen mit erheblichen Mietsteigerungen; schicke Boutiquen und teure Bars eröffnen an jeder Ecke.
»Kreuzberg 36 in der Krise?« Über diese Frage diskutierten am Montag im Kulturtreffpunkt SO36 Politiker, Experten, Vertreter der Wohnungswirtschaft und Stadtteilaktivisten. Eingeladen hatte die »Gruppe Soziale Kämpfe Berlin«. Einigkeit herrschte nur in einem Punkt: Teile von Kreuzberg sind von Gentrifizierung betroffen und den damit einhergehenden Verdrängungseffekten für alteingesessene Mieter, Menschen in prekärer Beschäftigung und Langzeiterwerbslose. »Kreuzberg weist in den letzten fünf Jahren die stadtweit höchsten Neuvermietungspreise auf«, informierte der Stadtsoziologe Erwin Riedmann. Allein im Gebiet rund um das Kottbusser Tor liegen die Mieten bereits ein Drittel über den Obergrenzen, die im Rahmen der Wohnkostenregelung für Langzeiterwerbslose vom Land übernommen werden. Gleichzeitig werde die Suche nach preisgünstigen Quartieren immer aussichtsloser. Neben dem Mariannenplatz und dem Wrangelkiez gelte dies für weitere Gebiete. Die Sozialberaterin Neriman Kurt vom Kotti e.V. berichtete von einer rasanten Zunahme an Beratungsgesprächen. »Es dreht sich fast ausschließlich um die Miete, wenn Hilfesuchende zu uns kommen.« Zu den Klienten gehörten nicht mehr nur Menschen im Hartz-IV-Bezug. Der Beratungsbedarf erstrecke sich auch auf Erwerbstätige.
Den städtischen Wohnungsbaugesellschaften warf Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) vor, »Mietsteigerungsmöglichkeiten bis zum Anschlag auszuschöpfen« und damit zu den Aktivposten der Verdrängung zu gehören. »Wir sind bereit, im Einzelfall zu prüfen, ob eine Mieterhöhung ausgesetzt oder reduziert erhoben werden kann«, erwiderte der Vertreter der ehemals größten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW, die 2003 vom »rot-roten« Senat komplett an den US-Finanzinvestor Cerberus veräußert worden war. Joachim Oellerich, Sprecher der Berliner Mietergemeinschaft, kritisierte solche »Einzelfallösungen« als wirkungslos und forderte ein radikales Umsteuern in der Wohnungspolitik. Obwohl Berlin de facto vor einer neuen Wohnungsnot stehe, werde die Situation weiterhin schöngeredet. Neben der Ahndung der Zweckentfremdung von Wohn- in Gewerberaum und Beschränkungen bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen forderte Oellerich eine versorgungsorientierte Ausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen und einen neuen sozialen Wohnungsbau. Ehe dafür gesellschaftliche Mehrheiten organisiert werden können, wollen die Aktivisten der »Gruppe Soziale Kämpfe« direkt eingreifen. Um Luxussanierungen und Eigentümerwechsel zu verhindern, sollten Quartiere »deattraktiviert« werden. »Wer im Unterhemd rumläuft oder eine Lidl-Tüte als Kühlschrank-Ersatz auf den Balkon hängt, erweckt den Eindruck von Armut und schreckt Investoren ab«, so ein Aktivist.
Das mit einer Kurskorrektur in der Wohnungs- und Mietenpolitik von SPD und Die Linke an der Spree nicht zu rechnen ist, geht aus einer am Dienstag verbreiteten Erklärung hervor. »Berlin bietet im Vergleich der Großstädte eindeutig mehr Wohnqualität fürs Geld. Zudem ist das Angebot deutlich größer als in den Vergleichsstädten und auch für Einkommensgruppen mit mittlerem und relativ geringem Einkommen zum größten Teil finanzierbar«, behauptet darin Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer. Unterstützung erhielt die SPD-Politkerin im SO 36 von Halina Wawzyniak, stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, die in Friedrichshain/Kreuzberg ihren Wahlkreis hat. »Wir müssen uns jetzt in erster Linie auf die Pläne der Bundesregierung zur Verschärfung des Mietrechts konzentrieren«, appellierte sie. Kritik an der von ihr mitgetragenen erfolgreichsten Privatisierungskoalition in der Geschichte Berlins will sie nicht hören. Auf ihrem Internet-Blog kanzelte Wawzyniak entsprechende Äußerungen inzwischen als »Großes Kino« ab.
1 Response to ““Mit Lidl-Tüten gegen Luxus” (Artikel aus junge Welt)”
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nun, wer lesen kann ist klar im vorteil… wer liest wird feststellen, dass ich gar nichts zu rot-roter politik gesagt habe, dazu war nämlich alles gesagt und das der kommentar sich allein darauf bezog, dass aktivistin b. außer zum ersten absatz nichts zum inhalt sagte… wo ein wille ist, ist vielleicht auch ein weg…