Dresden. Am Dienstag informierte sich Gisela Kallenbach, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, bei Initiatoren des Experimentellen Karree in Chemnitz vor Ort über das drohende Aus für das Projekt.
“Dass die Chemnitzer Stadtverwaltung das Potential einer solch großen kreativen Gruppe wie der Organistoren des EXKA e.V. behindert und abweist, ist mir völlig unverständlich”, kritisiert Kallenbach. “Statt das ehrenamtliche Engagement von den etwa 50 Studenten, Architekten und Anwohnern zu fördern, spricht die kommunale Wohnungsgesellschaft GGG eine Kündigung aus. Dabei hatte sich der Chemnitzer Stadtrat im November 2008 für das Projekt ausgesprochen. Welches Demokratieverständnis herrscht in der Chemnitzer Stadtverwaltung eigentlich?”
“Mit diesem Vorgehen werden die von der Stadt eingeworbenen europäischen Fördermittel für das Reitbahnviertel wieder in Frage gestellt”, warnt die Abgeordnete. “Wer erst mit den Projekten wirbt und sie nach der Bewilligung als überflüssig ansieht, darf sich nicht wundern, wenn die EU Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens bekommt.”
“Mit Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig werde ich die Kommunikation suchen, um sie zu überzeugen, dass das Engagement der Kreativen vom Experimentellen Karree für Chemnitz angesichts der starken Abwanderung gerade junger Menschen, Überalterung und hoher Leerstandsquoten ein Glücksfall für die Stadt ist.”
Die Abgeordnete wird zusätzlich im Landtag vom zuständigen Wirtschaftsminister Sven Morlok mithilfe mehrerer Anfragen Aufklärung über den EFRE-Mitteleinsatz im Reitbahnviertel verlangen.
Grüne-Fraktion Pressestelle
Monthly Archive for Mai, 2010
Im Rahmen ihrer Reihe “Chemnitzer Perspektiven” veranstaltet die “Freie Presse” am 3. Juni im Schauspielhaus ein öffentliches Podiumsgespräch zum Thema “Wie weiter mit dem Experimentellen Karree?” Beginn ist 19 Uhr. PodiumsteilnehmerInnen sind Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig, GGG-Geschäftsführerin Simone Kalew sowie Markus Börner und Dominik Intelmann von den Trägervereinen des Kulturprojekts an der Reitbahnstraße 84. Eintritt ist frei. Außerdem richtete die Freie Presse ein Leserforum (klick!), sowie ein umfangreiches Spezial (klick!) zum Thema ein .
Chemnitz. Die Frist läuft ab: Am 30. Juni soll das Kulturprojekt Experimentelles Karree an der Reitbahnstraße beendet werden, der Mietvertrag ist gekündigt. Die Stimmung im Experimentellen Karree (Exka) an der Reitbahnstraße 84 schwankt derzeit zwischen Trotz und Fatalismus, zwischen Schicksalsergebenheit und Kampfeslust. Während ein Teil schon aufgegeben und das Haus verlassen hat, will ein harter Kern bleiben – rund 20 Akteure, die sich in der Initiative “Reba Si” zusammengeschlossen haben. “Die Reitbahnstraße 84 liegt genau zwischen Innenstadt und Uni”, sagt Reba-Si-Mitglied Georg Spindler. “Es ist der beste Platz für ein solches Kulturprojekt.”
Rückblende: Das frühere Haus des Kindes am Bernsbachplatz, ein markanter Bau aus den 1950er-Jahren, war den jungen Leuten vom Verein “Wiederbelebung kulturellen Brachlandes” (WKB) im Juli 2007 übergeben worden. Die Jugendlichen – zumeist Studenten und Künstler – sagen, es sei mit dem Eigentümer, der städtischen Wohnungsgesellschaft GGG, ein unbefristeter Überlassungsvertrag geschlossen worden. Bei der Stadtverwaltung heißt es hingegen, die Überlassung des Hauses sei von Anfang an “temporär” gewesen, also zeitlich befristet.
Die jungen Leute verpflichteten sich, die Räume auszubauen und ein selbstverwaltetes Wohn- und Kulturprojekt zu installieren – mit Ateliers, einem Café, einer Galerie, einem alternativen Kino. Von Anfang an musste der Verein eine vertraglich festgelegte Miete an die GGG zahlen – für 1450 Quadratmeter Nutzfläche pauschal 500 Euro monatlich zuzüglich der Nebenkosten, nach Vereinsangaben insgesamt 3000 Euro.
Im August 2008, also bereits ein Jahr nach der Überlassung des Gebäudes, teilte die GGG dem Trägerverein des Experimentellen Karrees mit, dass man das Gebäude an der Reitbahnstraße 84 verkaufen wolle. Hintergrund war, dass die GGG im Jahr 2005 die leer stehenden Wohnhäuser an der Fritz-Reuter-Straße 25 bis 31, also unmittelbar neben dem Experimentellen Karree gelegen, veräußert hatte. Im Kaufvertrag mit dem Investor, der Chemnitzer Keilholz GmbH, gibt es eine Klausel, die den Investor verpflichtet, die Häuser zu sanieren. Im Gegenzug erwartet das Unternehmen aber, dass auch die GGG ihre Häuser in dem Karree umbaut. “Wir waren uns beim Kauf der vier Objekte Fritz-Reuter-Straße 25 bis 31 mit der Verkäuferseite einig, dass das gesamte Karree saniert wird und hier innerstädtisch komfortable Wohnungen entstehen”, teilte die Keilholz GmbH mit. Dies habe nicht nur die GGG, sondern auch die Stadt Chemnitz in diversen Gesprächen zugesichert.
Doch zu eben diesem Karree gehört auch die Reitbahnstraße 84. Folglich begann nun ein monatelanges Tauziehen zwischen den Trägervereinen des Kulturprojektes und der städtischen Wohnungsgesellschaft. Die GGG bot mehrere Alternativobjekte an, die jungen Leute lehnten zunächst ab.
Mit einer Gruppe aus dem Exka, dem mittlerweile gegründeten Verein Casa Phantom, wurde die GGG jedoch einig. Die jungen Leute verfolgen ihr alternatives Wohnprojekt mittlerweile in einem neuen Objekt an der Adelsbergstraße in Gablenz. Den übrigen verbliebenen Exka-Leuten kündigte die GGG Anfang dieses Jahres; der Mietvertrag läuft damit am 30. Juni aus. Was dann wird, ist unklar. Es gibt zwar Verhandlungen über ein Objekt an der Bernsdorfer Straße, doch die gestalten sich schwierig. “Wir fühlen uns hingehalten”, sagt Markus Börner vom WKB-Verein.
Fest steht: Die Keilholz GmbH will nach eigenen Angaben im nächsten Monat mit der Sanierung der Häuser an der Fritz-Reuter-Straße beginnen. Auch die GGG will ihre Häuser an der Reitbahnstraße 80 und 82 umbauen; dort sollen Studentenwohnungen entstehen. Für die Reitbahnstraße 84 plant die GGG jetzt einen Kultur- und Szenetreff in eigener Regie -ein Umstand, der die Exka-Leute auf die Palme bringt: Das bestehende, von unten gewachsene Kulturprojekt werde “abserviert”, ein neues von oben installiert – unter der Kontrolle von Stadt und GGG.
(via freiepresse.de)
Der zeitliche Abstand von Juni 2007 bis heute, von der Hausbesetzung in der Karl-Immermannstraße 23/25 bis zur Kündigung des Wohn- und Kulturprojekts Reba 84 in der Reitbahnstraße 84 seitens der städtischen GGGmbH, lässt es unsererseits, den Aktiven des Experimentellen Karree e.V., notwendig erscheinen, eine zusammenfassende Chronik dieses, wahrscheinlich für alle Parteien langwierigen, schwierigen und oft nicht durchschaubaren Prozesses zu erstellen. Wichtig ist uns dabei v.a. die Nachvollziehbarkeit der Handlungen der vielen unterschiedlichen AkteurInnen, zu ermöglichen. Eine komplexe Darstellung des Planungsprozesses steht aber noch aus. Zum Beispiel, die Frage, woran das Experimentelle Karree scheiterte und die AkteurInnen und IdeengeberInnen diesen Standort zum 30.06.2010 verlassen müssen? Und: Aus welchem Grund der Stadtratsbeschluss zur Reitbahnstraße 84 und dem Experimentellem Karree nicht umgesetzt wurde? ? Unter anderem.
Die vorliegende Chronik kann in ihrer Fragmentarität nur ein Baustein dafür sein, um dies künftig besser beantworten zu können. Als Ergänzung zu der Chronik empfehlen wir die im Juni 2009 vom ExKa e.V. gezogene Zwischenbilanz, mit Erörterungen zu den zutage getretenen Problemen während des Planungsprozesses – veröffentlicht in der Broschüre “Das Experimentelle Karree – Zum Stand der Dinge“. Bereits zu diesem Zeitpunkt, Sommer 2009, gab es keine von der städtischen Tochter gewollte Chance mehr für das ExKa am geplanten Standort. Hilfreich für ein tieferes Verständnis kann auch die im Anschluss der Chronik getroffene Auswahl von Presseberichten sein.
Der Verein Experimentelles Karree e.V., der sich zum Ziel gesetzt hatte, das Wohn- und Kulturprojekt Reba 84 (des WkB e.V´s), am Standort zu unterstützen und das leerstehende Karree entsprechend zu planen und mitzugestalten, sieht in der momentanen Situation, der Kündigung des WkB e.V.´s, seine Arbeitsgrundlage entzogen. Die untenstehende Auflistung markiert somit auch eine Art Bilanz der bisherigen Tätigkeiten beider Vereine.
Es ist klar, dass eine chronologische Aufreihung der Ereignisse anderer AkteurInnen, wie z.B. der GGGmbH, des Stadtplanungsamtes Chemnitz und der privaten Eigentümer, bestimmte Stichpunkte und Daten anders beschreiben oder hervorheben würden. Die hier vorliegende soll deshalb auch eine Aufforderung an die anderen Beteiligten sein, den Prozess zum jetzigen Zeitpunkt aufzuarbeiten.
Download der Broschüre (klick!)
Mit dem ReitbahnBoten hat unser Lieblings-Fördergebiet nun eine eigene Stadtteilzeitung. Nach eigener Auskunft hat es sich das Blättchen zum Ziel gesetzt, “die im Reitbahnviertel wohnenden und arbeitenden Bürger sowohl über die mit dem EFRE-Programm möglich werdenden Veränderungen als auch über weitere [sic!] Probleme, Sorgen, Nöte und Entwicklungen zu informieren.”
Im Anschluss an dieses möglicherweise unfreiwillige Eingeständnis darf Grit Stillger, Mitarbeiterin im Amt für Baukoordination, in der ersten und aktuellen Ausgabe der Zeitung zu den geplanten Vorhaben im Reitbahnviertel Stellung nehmen. Sicher hätte die Redaktion zum Thema Experimentelles Karree auch Informationen von den Akteuren selbst bekommen können. Da aber die Ideen des Exka e.V. allmählich auch unabhängig von seinen Mitgliedern und Sympathisanten auf Interesse in der Stadt stoßen, darf sich Frau Stillger, die mit den Ambitionen des Vereins schon länger betraut ist, zu Besagtem äußern.
Zwar verschlug es uns zunächst die Sprache, was sie da verlauten ließ. Schließlich schien es uns aber doch Wert, das Gesagte hier wiederzugeben und zu kommentieren. Auf die Frage nach dem gegenwärtigen Stand des Experimentellen Karrees antwortete Frau Stillger:
Ein Investor hat Bestände an der Fritz-Reuter-Straße gekauft und will die sanieren, diese Verpflichtung ist er bereits mit dem Kauf eingegangen. Die GGG ihrerseits muss dafür sorgen, dass sie die Reitbahnstraße 80-84 und den Bernsbachplatz 5 und 6 ebenfalls saniert, damit eine homogene Entwicklung im Karree erfolgt, die gegenseitige Konflikte ausschließt. Beide Eigentümer gehen das ab 2010 in unterschiedlichen Standards an. Dabei werden bei der GGG auch preiswerte, sanierte Wohnungen für Studenten oder WGs entstehen. Der Investor der Fritz-Reuter-Straße kann aber seine sanierten Wohnungen nicht verkaufen, wenn das ExKa in unmittelbarer Nachbarschaft sein Konzept verwirklicht. Deshalb haben wir in vielen und langen Gesprächen mit den ExKa-Akteuren nach Alternativen in unmittelbarer Nähe im Viertel gesucht und ihnen zunächst die Karl-Immermann-Straße 23/25 angeboten. Dort hätten sie ihren multikulturellen Teil realisieren können. Für das Wohnen wären die Reichenhainer Straße 6 bis 10 oder die Ritterstraße 13 geeignet gewesen. Die Stadt hätte sich auch um die Schrittweise Instandsetzung der Reichenhainer Str. 12 als Domizil für die Vereine bemüht. Letztendlich schlugen aber die jungen Leute alle Angebote aus, sie wollten alles unter einem Dach. Deshalb musste die GGG das Nutzungsverhältnis mit dem Verein ‘Wiederbelebung kulturellen Brachlands’ zum 30. Juni 2010 kündigen. Inzwischen hat sich aus einem Teil der Akteure ein neuer Verein namens ‘Casa Phantom’ gegründet, der sich auf der Adelsbergstraße angesiedelt hat. In die Erdgeschosszone der Reitbahnstraße 82-84 und des Bernsbachplatzes 5 und 6 werden nach der Sanierung durch die GGG der KulturTreff, die Gläsernen Werkstätten und eventuell noch weitere Kultur- und Szeneeinrichtungen einziehen. Interessenten können sich gern an das Stadtteilmanagement wenden.
Wir verstehen also richtig: Die Bemühungen des Exka e.V. um ein alternatives, bisweilen studentisches Wohn- und Kulturprojekt, mussten abgewickelt werden, weil diese der Entwicklung des Karrees in Einklang mit anderen Investoren im Wege standen. Die neuen Vorhaben im Karree von Seiten Stadt und GGG sind nun: Wohnungen für Studenten, Kultur- und Szeneeinrichtungen. und dafür werden Interessenten gesucht!
Wer diese auf den ersten Blick absurd erscheinenden Gedanken verstehen will, wird sich fragen müssen, auf welchen Unterschied es den Chemnitzer Stadtplanern bei der Abservierung eines bestehenden Kulturprojektes zugunsten eines neu zu schaffenden ankommt.
Selbstverständlich würde sich die Vermietung von Wohn- und Ladenfläche nach marktüblichen Preisen richten, die auch die bei der Sanierung angefallenen Investitionskosten berücksichtigen. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Gebäudewirtschaft (GGG) hier ein großes Geschäft wittert, zumal die Auslastung der Wohneinheiten – noch durch das in den letzten Jahren entstandene Angebot an Mietwohnungen im Reitbahnviertel – begrenzt sein wird.
Es scheint vielmehr darum zu gehen, mit dem Experimentellen Karree einen Prozess zu stoppen, dessen Inhalte man aufgrund seines ausdrücklichen Charakters, nämlich ein urbanes Experiment zu sein, nicht unter Kontrolle hat; dessen Akteure sich in den letzten Jahren mit ihrer Kritik an der Stadtpolitik allerlei Gehör verschafft haben und die es bei dem Versuch der Durchsetzung ihrer Anliegen an Renitenz nicht haben mangeln lassen.
Dieser “Ausrutscher”, den sich die GGG mit der Vermietung der Reitbahnstraße 84 geleistet hat, unter der Annahme dass das Durchhaltevermögen des Projekts sowieso nicht von langer Dauer ist, würde mit einem Vermietungsneustart nicht noch einmal geschehen. Nicht nur weil marktübliche Mieten jedes Experiment verbieten. Auch darf davon ausgegangen werden, dass die künftigen Mieter der Ladenflächen den Konformitätsansprüchen der GGG genügen müssen – also konventionelles statt experimentelles Karree!
Es sieht ganz so aus, als wären die Konzepte, mit denen der Exka e.V. seine Projektidee bei GGG und Stadtplanung schmackhaft machen wollte, schließlich dort angekommen – zumindest was Schlagwörter wie Step Stone, Subkultur oder studentisches Milieu betrifft, denn von einem wirklichen Verständnis dieser Ideen kann keine Rede sein: Das Phänomen eines kreativen und engagierten Publikums rund um die Reitbahnstraße, in dem die Stadtplaner offensichtlich ein Indiz für lohnende Bemühungen in Sachen “Kultur- und Szeneeinrichtungen” sehen, folgt nämlich seiner eigene Dynamik, der man höchstens Schranken aus dem Weg räumen kann und sollte, die sich aber ansonsten einer Planung – noch dazu einer amtlichen bzw. geschäftlichen – entzieht. Gut denkbar also, dass sich derartige Anstrengungen von Seiten Stadt und GGG wieder einmal als Schuss in den Ofen erweisen.
Letzten Endes sind aber auch noch gehörige Zweifel darüber geboten, ob es sich bei den Verlautbarungen von Frau Stillger um ernsthafte Bemühungen handelt oder ob dabei bloß das aufbrausende Unverständnis in Bezug auf die Abwicklung des Experimentellen Karrees gedämpft werden soll. – Wie dem auch sei, für uns ist nichts dabei!
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